CASTOR&&POLLUX ist eine umfangreiche Theaterproduktion, die im April beim Musikfestival „Heidelberger Frühling“ premiert. Student Lukas Rehm kombiniert in seiner Komposition klassisches Orchester mit einem Libretto, das neuronale Netzwerke geschrieben haben.

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Küssende Klangkunst

Barockmusik, künstliche Intelligenz und Elektronik in einem 4D-Soundsystem. Wie geht der Komponist Lukas Rehm bei seiner Arbeit für die Heidelberger Produktion „Castor&&Pollux“ vor?

Lukas Rehm sitzt im Soundstudio der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Zweieinhalb Wochen vor der Premiere von „Castor&&Pollux“ arbeitet er an der Ouvertüre und designt das Programmbuch. Das Gespräch dauert sehr lange, um Rehm wird es zunehmend dunkler. Trotz lockerem Umgangston ist es ihm wichtig, die Komplexität der Inhalte genau darzulegen. Für die Produktion von „Castor&&Pollux“ beim Musikfestival „Heidelberger Frühling“ stellt Rehm mit elektronischer Musik und Videokunst überkomplexe Strukturen und emotionale Klarheit gegenüber.

niusic: Wie können elektronische und klassische Musik voneinander profitieren?
Rehm: Die Unterschiede der beiden Genres machen ihre Qualitäten aus. In der Klassik präsentieren echte Menschen ihre Fähigkeiten live: Die Körper schwitzen, die Instrumente schwingen, all das ist im Raum präsent. Bei der Elektronik ist der Klang akusmatisch, seine Quelle lässt sich aus der Hörerfahrung nicht nachweisen.

niusic: Was passiert, wenn man diese beiden Musikstile vereint?
Rehm: Dann entsteht eine andere klangliche Dimension. Bei „Castor&&Pollux“ ist das Orchester an einem Punkt, die digitalen Klänge können aber durch das Raumklangsystem den gesamten Raum erschließen. Zusammen ergibt das dann so etwas wie einen Kuss oder eine Umarmung.

© CASTOR&&POLLUX

niusic: Und was kann dieser Klangkuss beim Hörer auslösen?
Rehm: Ich finde es kompliziert über Absichten zu reden, aber es gibt Momente, die mit musikalischer Antizipation spielen. Und dieser Bruch ist für mich spannend. Der Hörer kann nachvollziehen, wie das Verhältnis zwischen diesen zwei Qualitäten sein kann.

niusic: Ich finde es interessant, dass Du von Qualitäten sprichst und nicht von Musikstilen.
Rehm: Ja, bestimmte Bezugspunkte kann man nie wegdenken. Das Eine ist klassische Musik, die bekannt ist, das Andere sind unbekannte elektronische Klänge. Das bleibt immer erkennbar.

niusic: Du spielst also mit dem Bekannten und dem Neuen?
Rehm: Es gibt schon scharfe Trennungen. Mir war es wichtig, Rameau auch Rameau sein zu lassen, seine krassen Arien und Zwischenspiele. Von der ursprünglichen Oper sind ungefähr noch 50 Prozent erhalten.

niusic: Und welche 50 Prozent sind das?
Rehm: Die Hits. (lacht)

niusic: Du hast gerade von klanglichen Referenzen gesprochen. Kann es nicht sein, dass die Referenzen zwar existieren, man sie aber gar nicht wahrnimmt?
Rehm: Als ich mir für das Erstellen der Musik einen Orientierungspunkt gesucht habe, habe ich mir Überlieferungen aus der Zeit, in der das Narrativ von Castor und Pollux entstanden ist, angeschaut. Und dann alte, griechische Skalen als Basis verwendet für das Libretto, das aus der Maschine kommt, generiert durch künstliche Intelligenz. Diese Skalen liegen der Musik zugrunde, werden wahrscheinlich aber nicht vordergründig wahrgenommen.

niusic: Warum setzt Du Dich mit künstlicher Intelligenz auseinander?
Rehm: Herkömmliche Computer können sich wahnsinnig gut Sachen merken, aber schlecht lernen. Wir dagegen vergessen häufig, weil wir eben lernen können. Jetzt gibt es Computer, die lernen können, weil sie vergesslich sind. In der Rezeptionssituation der Musik, die durch künstliche Intelligenz entsteht, gibt es unterschiedliche Qualitäten: die körperliche oder die referenzielle, die nicht immer sichtbar ist. Dieses Wechselspiel, affektiv und kognitiv, ist das, was mich interessiert.